Beitrag: „Das arme Pferd hat ja noch nicht mal Hufeisen!“

Als Hufbearbeiter kommt man recht viel herum und lernt diverse Freizeitställe, klassische Reitanlagen, Westernsportbetriebe sowie professionelle LAG- oder Hobby-Offenställe kennen. Und egal an welchen Stall ich komme, sie sind bereits da – die Pferdeleute!
Es gibt sie in allen Variationen, vom sportlich hoch Ambitionierten, über den freizeitlichen Wald- & Wiesenschaukler, bis hin zum fröhlich in die Runde prostenden Materialschoner. Und eins haben sie alle gemeinsam, die Liebe und Leidenschaft zum Begleiter Pferd, dessen Wohlergehen und Gesundheit für alle an erster Stelle steht.
Und obwohl dies so ist, weichen genau hier die Ansichten der jeweiligen Pferdehalter eklatant voneinander ab.

Die essentiellen Grundbedürfnisse für ein gesundes Pferd sind in erster Linie Bewegung, bedarfsgerechte Fütterung und das soziale Gefüge im Herdenverband. Darüber sind sich soweit alle einig, denn man hört es auf allen Pferdemessen und liest es immer wieder in den einschlägigen Reitergazetten.
Und dennoch stellt sich mir die Frage, wieso wird das Wissen um die Grundbedürfnisse der Tiere in der Praxis so verschieden umgesetzt?

05-01-2017-10-39-42Warum ich mich hier diesem Thema widme ist einer Situation geschuldet, welche ich vor wenigen Tagen erlebt habe.
Ich kam zur Bearbeitung eines Ponys an einen ganz normalen Reitstall, das Pferdchen hatten die Eltern ihren Kindern vor etwa einem viertel Jahr geschenkt. Das ausgeglichene und gelassene Tier schien perfekt für den Umgang mit den Kindern. Diese waren überglücklich, was sie durch farblich abgestimmte Halfter, Decken, Gamaschen, Bürsten etc. zum Ausdruck brachten.
Wie ich erfuhr, stammte das Pony aus einer Offenstallhaltung und war nicht nur für Kinder bestens geeignet, sondern zeigte sich auch bei der Hufbearbeitung von der allerbesten Seite.
Nun…vor ein paar Tagen – etwas über drei Monate später also – treffe ich bei meiner dritten Bearbeitung auf ein schreckhaftes, unruhiges und ganz und gar nicht kooperatives kleines Pferd. Die Besitzer sind nicht Vorort, eines der *Reitermädchen* vom Stall wurde beauftragt, mir das Pony zu bringen.
Insgesamt zweimal reißt sich das Tier panisch von der Anbindung los, das Halfter mit der peppigen Farbe quittiert hierdurch seinen Dienst. Ich bitte die jugendliche Helferin das Pony so festzuhalten und nicht mehr anzubinden, damit ich die Hufe bearbeiten kann. Trotz gutem Zureden, ruhigem Umgang und vorsichtigen Bewegungen zappelt das Pony und zuckt bei den vielen Geräuschen des Stallbetriebes immer wieder zusammen.
Auf meine Frage, was mit dem Tier passiert sei, da ich es eigentlich vor ein paar Wochen noch anders erlebt hatte, bekomme aber nur ein Achselzucken und ein: „Das Pony ist eben komisch, rennt in der Box auch immer im Kreis und macht die Tränke kaputt. Außerdem hat es ja noch nicht mal Eisen….armes Pferd.“
Ich bin schockiert und frage mich, warum sie nicht erkennt, dass sich das Pony nach Jahren der Offenstallhaltung in der Box wohl wie in einem Knast fühlen muss. Was um alles in der Welt wird dem Reiternachwuchs hier über Pferde beigebracht? Die Antwort kann ich mir beim Anblick der Reitanlage selber geben…Pferde brauchen einen Stall, in dem sie den größten Teil ihrer Zeit verbringen, 3mal pro Woche Reitstunden in der Halle mit den Kindern, farblich abgestimmtes Zubehör und natürlich Hufeisen. Weidegang nur im Sommer und nur stundenweise – vorausgesetzt das Pferd ist brav, sonst bleibt es besser in der Box.

Sicherlich ein extremes Beispiel, aber leider keine Seltenheit.
Als Barhufbearbeiter bin ich an vielen Ställen ein echter Exot, an anderen wiederum gängiges *Zubehör*. Aber ungeachtet der reiterlichen Einrichtung bzw. Haltungsform, unterm Strich habe ich die Erfahrung gemacht, dass im Hinblick auf eine konstante physische und psychische Pferdegesundheit, die Haltungsform das Zünglein an der Waage ist.16-08-2016-09-00-30

Ein anderes Beispiel: Im vergangenen Jahr wurde mir ein Pferd vorgestellt, welches laut Tierklinik und Hufschmied nicht mehr reitbar und – trotz diverser Spezialbeschläge – prinzipiell Bewegungsunfähig war. Bockhuf, Trachtenzwang, Hufrolle und Sehnenschäden verteilten sich gleichmäßig auf die vorderen Extremitäten, hinzu kamen Abgeschlagenheit, ein schwaches Immunsystem und ein stark in sich gekehrtes Verhalten.
Die Besitzerin entschloss sich für eine radikale und grundlegende Veränderung im Hinblick auf die Haltung und Fütterung sowie Hufbearbeitung ihres Pferdes.
Die neue „Therapie“ lautete: weg von der ursprünglichen Reitsportanlage, barhuf statt Spezialbeschlag, 24/7 Herde, Offenstall, Weide, Futter und Bewegung.
Diese recht banalen Veränderungen haben dem Pferd binnen weniger Monate das Leben gerettet und dem Besitzer wieder gemeinsame Ausreiterlebnisse ermöglicht.

Das erstaunliche an dem zweiten Fall ist, dass diese Art der Pferdehaltung oftmals noch immer belächelt oder gar bemitleidet wird. Gerne wird es auch als *neumodischer Trend* oder Pferdehaltung für den kleinen Geldbeutel abgetan – was es natürlich nicht ist und viele Reitbetriebe mittlerweile in diese Richtung gehen.
Doch in den festgefahrenen Denkstrukturen des „klassischen Reitsports“ muss sich noch einiges tun und noch so mancher bedarfsgerechter Aktivstall seine Stalltüren öffnen.
Auch in den Reitschulen und Trainigsställen muss der Reitnachwuchs gezielte Informationen zum Thema natürliche Bedürfnisse und Voraussetzungen zur Erhaltung der Pferdegesundheit vermittelt bekommen – und zwar nach aktuellem und fundierten Kenntnisstand, und nicht nach Angaben antiquierter Leitfäden diverser reiterlicher Vereinigungen. Bunte Gamaschen und die passende Satteldecke sind Pferden schließlich vollkommen egal.

Heute erfuhr ich, dass das oben erwähnte Reitpony nun verkauft werden soll, da es sich im Reitunterricht „nicht mehr benehmen kann“ und somit für die Kinder nichts taugt.
Ich drücke die Daumen, dass es eine friedliche und artgerechtere neue Bleibe findet!

© NHCR – Barhuf ist besser